Einleitung in die deutsche sprachgeschichte

GEGENSTAND UND GRUNDBEGRIFFE DER SPRACHGESCHICHTE

Der Sprachwandel

Jede Sprache ist ein dynamisches System. Sie ändert, entwickelt und vervollkommnet sich. Nur ihre soziale Funktion bleibt konstant.

Wenn wir die Sprache verschiedener Perioden vergleichen, so ergibt sich, dass zwischen diesen Sprachen große Unterschied besteht. Die Sprache verändert sich also im Laufe der Zeit.

Die Sprachveränderung läßt sich am leichtesten am Wortschatz erkennen. Der Wortschatz einer Sprache ist überaus empfindlich für alle Ereignisse und Wandlungen im sozialen Leben und in der Ideologie, für den Fortschritt in Wissenschaft und Technik, auch für die Mode u. a. m. Neue Wörter bereichern den Wortschatz fortwährend; andere Wörter veralten oder kommen ganz aus dem Gebrauch. Wenn man die Sprachen verschiedener Generation vergleicht, wird wahrscheinlich feststellen, dass Unterschiede bestehen, nicht nur was den Wortschatz, sondern auch was System betrifft.

Sprachgeschichte ist für das Erlernen einer Sprache insofern von Bedeutung, weil sie die Regeln und Ausnahmen des sprachlichen Systems weniger undurchsichtig macht und uns den Hintergrund für die Veränderungen und die Weiterentwicklung der Sprache von heute erläutert.

Sprachgeschichte ist auch die Geschichte der Wörter und damit auch kulturellen Entwicklung. Die Sprache ist eine soziale Erscheinung, ein Mittel der Menschen, sich untereinander zu verständigen. Das Entstehen und Verschwinden der Wörter spiegelt immer die Zeit, die Sitten, und Gebräuche, die geistigen Strömungen, die Veränderungen der Lebensbedingungen und den Wandel der gesellschaftlichen Struktur wider.

Gegenstand und Aufgaben der Sprachgeschichte

Die Hauptaufgabe des Lehrgangs ist die Betrachtung der Entwicklung der Sprache im engen Zusammenhang mit der Entwicklung des deutschen Volkes und der Geschichte.

Gegenstand Die Geschichte der deutschen Sprache ist ein Teil der Germanistik. Sie erforscht und beschreibt aus diachronischer1 Sicht das phonologische System, den grammatischen Bau, den Wortschatz und das System der Stile der deutschen Sprache. Ihr Forschungsgebiet sind einerseits die konstanten Charakteristiken des Sprachsystems, andererseits die Dynamik und die Haupttendenzen der Sprachveränderung. Gegenstand der Sprachgeschichte sind außerdem die Existenzformen der deutschen Sprache, ihr sozialhistorisch bedingter Wandel und das Werden der modernen deutschen Nationalsprache.

1Diachronie – [dia – durch]; [chronos – Zeit] — Darstellung der geschichtlichen Entwicklung einer Sprache

DIE DEUTSCHE SPRACHE

Die deutsche Gegenwartssprache

Die deutsche Sprache ist die Staatssprache der Bundesrepublik Deutschland, Österreichs, eine der Staatssprachen der Schweiz (neben Französisch, Italienisch und Rätoromanisch), Luxemburgs (neben Französisch, Deutsch und Luxemburgisch) und die Staatssprache des Fürstentums Liechtenstein.

Für ca. 110 Millionen Menschen ist Deutsch die Muttersprache. Etwa 110 Mio. Menschen sprechen Deutsch als Amts- und Verkehrssprache.

Die Existenzformen der deutschen Gegenwartssprache

Die deutsche Gegenwartssprache hat einige historisch bedingte Existenzformen.

Die gemeindeutsche nationale Literatursprache. Die wichtigste Existenzform der deutschen Gegenwartssprache ist die deutsche nationale Literatursprache (die deutsche Gemeinsprache / Einheitssprache, Hochsprache, Hochdeutsch).

Die deutsche nationale Literatursprache ist wie jede Existenzform der Sprache eine historische Kategorie. Ihr Aufkommen hängt mit der Herausbildung der Nationen in der Epoche des sich entwickelnden Kapitalismus zusammen; ihre Weiterentwicklung geht im Rahmen der modernen Nation vor sich. Heute ist die deutsche nationale Literatursprache in den deutschsprachigen Staaten die Sprache der schönen Literatur und Kultur der Wissenschaft, der Presse und des Rundfunks, die Amtssprache und Schulsprache, die Sprache des öffentlichen Umgangs und auch die gepflegte Sprache des privaten Umgangs (die literatursprachliche Alltagssprache). Ihr Wortschatz, ihr Satzbau, ihre Ausdrucksmittel, ihr Reichtum an funktional bedingten Stilarten, ihre einheitliche grammatische, lexikalische und Aussprachenorm sind das Ergebnis eines ununterbrochenen Bemühens um die Sprache vieler Generationen von Sprachkünstlern und Sprachpflegern.

In den einzelnen deutschsprachigen Staaten weist die deutsche Literatursprache gewisse Eigenheiten im Wortschatz, in der Aussprache, in Wort- und Formenbildung auf. Da sich der deutschen Sprache mehrere Nationen bedienen, handelt es sich um nationale Varianten der deutschen Literatursprache, und zwar um die deutsche Literatursprache Deutschlands (häufig als das „Binnendeutsch" bezeichnet), um die deutsche Literatursprache Österreichs und die der Schweiz.

Deutsche Territorialdialekte. Den Gegenpol zur deutschen nationalen Literatursprache bilden die sogenannten Territorialdialekte. Das ist die älteste Existenzform der deutschen Sprache. Die Territorialdialekte haben sich im mittelalterlichen Deutschland im Rahmen der feudalen Grafschaften, Kleinfürstentümer und Bistümer herausgebildet, und ihre Grenzen entsprechen noch heute, wie die Mundartforschung erwiesen hat, im wesentlichen den politischen Grenzen jener Zeit. Die jahrhundertelange feudale Zersplitterung Deutschlands trug zur Erhaltung der Territorialdialekte bis zur neuen Zeit bei; sie bedingte auch die äußerste territoriale Zersplitterung der deutschen Dialekte und die tiefgehenden Unterschiede zwischen den einzelnen Lokalmundarten im Rahmen von Dialekten. So verzeichnet zum Beispiel der Deutsche Sprachatlas 67 verschiedene mundartliche Aussprachevarianten für was: was, wos, waas, woos, was, wes, wös, wus, waos, waus, waös, waus, woas, woes, wois, wous; bas, bös, bäs, bais, bous; wat, wot, wät, waot, woat; wa; bat u.a. Neben dem literatursprachlichen Kartoffel und dem umgangssprachlichen Erdäpfel existieren regionale Bezeichnungen Erdbirne, Grundbirne, Bodenbirne, Gummel und ihre mundartlichen Formen: zu Kartoffel — Tartoffel, Artoffel, Artuffel. Artüffel, Ärtoffel, Artöffels, Ertoffel; in Anlehnung an Erdapfel — Erdappel, Erpel, Erdtoffel; zu Grundbirne — Gromber, Grumber, Grunbir u.a.

Man teilt die deutschen Territorialdialekte in Niederdeutsch (Plattdeutsch, benannt nach dem Bodenrelief des nördlichen Teils Deutschlands) und Hochdeutsch ein, letzteres gliedert sich in Mitteldeutsch und Oberdeutsch unter.

„Reine Mundart" ist heute infolge der Erziehung zum mündlichen und schriftlichen Gebrauch der Literatursprache in der Schule, infolge des wachsenden Einflusses von Rundfunk, Film, Fernsehen, Literatur und Presse, der fortschreitenden Industrialisierung ganzer Gebiete und der Entfaltung verschiedener Formen des öffentlichen Lebens nur noch eine Relikterscheinung. Aber in einigen Bundesländern („Reliktlandschaften", wo die Mundart noch lebendig ist, erhalten sich nur noch vereinzelt, und nur im mündlichen Alltagsgebrauch) gibt es noch wirkliche Mundartsprecher, Menschen also, die nur Mundart sprechen. Nach Angaben einiger Sprachforscher geht die Auflösung der Lokalmundarten im niederdeutschen Sprachraum schneller als im mittel- und oberdeutschen Sprachraum vor sich.

Städtische Halbmundarten und Umgangssprache. Zwischen der nationalen Literatursprache und den Lokalmundarten steht eine dritte Erscheinungsform der deutschen Gegenwartssprache, die verschiedenartig abgestuften Abarten von Umgangssprache, die im Gegensatz zu den in Auflösung begriffenen Lokalmundarten eine weitverbreitete Sprachform sind. Die Umgangssprache unterscheidet sich von den Lokalmundarten grundsätzlich als eine übermundartliche bzw. intermundartliche Sprachform mit mehr oder weniger großflächigem Geltungsbereich. Heutzutage sind großlandschaftliche Umgangssprachen bzw. Ausgleichssprachen (z. B. Obersächsisch, Berlinisch, Pfälzisch, Bairisch-Schwäbisch, Württembergisch u.a.m.) die Hauptart von Umgangssprache nicht nur in den Städten und Industriegebieten, sondern auch auf dem Lande. Sie existieren parallel zur literatursprachlichen Alltagssprache und unterscheiden sich von ihr durch größere oder geringere landschaftliche Färbung. Die Umgangssprache weist je nach dem Grad der lokalen Färbung mannigfache Abstufungen auf je nach Alter und Bildungsgrad der Sprecher und je nach der Sprechsituation (Familienumgang, Alltagsverkehr, Großbetrieb oder LPG, öffentliches Leben).

Beziehungen zwischen den einzelnen Existenzformen der deutschen Sprache. Die ständige Wechselwirkung zwischen Mundart, den mehrfachen Abstufungen der Umgangssprache und der Literatursprache finden ihren Ausdruck in der sog. Zweisprachigkeit der meisten Deutschsprecher, für die Deutsch die Muttersprache ist und die je nach der sozialen Sprechsituation verschiedene Sprachformen verwenden oder wenigstens verstehen. Die Wechselwirkung zwischen den einzelnen Existenzformen der deutschen Sprache findet ihren Ausdruck auch in deren ständiger gegenseitiger Beeinflussung. Aus der Literatursprache kommen in die Umgangssprache immer mehr Berufswörter und Termini, die von der letzteren assimiliert werden, sowie weitere Ausgleichs- und Angleichungsimpulse nicht nur im Bereich des Wortschatzes, sondern auch im Bereich der Aussprache und der „grammatischen Richtigkeit". Dem Einfluß landschaftlicher Umgangssprachen verdankt aber die Literatursprache zahlreiche territoriale Dubletten, z. B. Junge — Bube, Tasse — Schale, Tischler — Schreiner, Treppe — Stiege, SchlächterFleischer — Metzger, klingeln — lauten — schellen u.a.m.

VERWANDTSCHAFTSBEZIEHUNGEN DER DEUTSCHEN SPRACHE

Die germanische Sprachgruppe. Die deutsche Sprache gehört zum germanischen Sprachzweig der indoeuropäischen Sprachfamilie.

Die Verwandtschaft der germanischen Sprachen beruht auf gemeinsamer Abstammung von den Stammesdialekten der alten Germanen, die um die Mitte des I. Jahrtausends v. u. Z. rund um die westliche Ostsee, zwischen der Oder und der Elbe, in Jütland und in Skandinavien lebten und in einige große Stammesverbände zusammengeschlossen waren. Mit dem Wachstum der Stämme und der dadurch bedingten Aufspaltung vollzog sich noch vor Beginn unserer Zeitrechnung die sprachliche Aufspaltung, die zur eigenständigen Entwicklung der germanischen Stammesdialekte und zur Herausbildung mehrerer germanischer Sprachen führte.

 

Zeitskala und Verzweigung des Germanischen
aus: Keller, Rudolf E. (1986): Die deutsche Sprache und ihre Entwicklung. S. 48.

 

Gliederung der germanischen Sprachen der Gegenwart.

Die germanischen Sprachen der Gegenwart gliedern sich in:

nordgermanische Sprachen: Schwedisch, Dänisch, Norwegisch, Isländisch und Färöern.

westgermanische Sprachen: Deutsch, Englisch, Niederländisch, Friesisch und Afrikaans.

(ostgermanische Sprachen – Gotisch, Burgundisch, Vandalisch sind schon Ausgestorben)

Übereinstimmungen im Wortbestand, Lautbestand und in der Wort- und Formenbildung. Die Verwandtschaft der germanischen Sprachen ist auch heute trotz jahrhundertelanger eigenständiger Entwicklung unverkennbar. Sie kommt im gemeingermanischen Wortschatz, in der Ähnlichkeit vieler grundlegender Elemente der morphologischen Struktur, in gemeinsamen Wortbildungsmitteln zum Ausdruck.

Die Ähnlichkeit in Formenbau und Wortbildung sollen folgende Beispiele veranschaulichen:

a) Der Ablaut in den Grundformen der starken Verben:

b) Bildung der analytischen Formen des Verbs:

c) Bildung der Steigerungsstufen der Adjektive

d) Wortbildungssuffixe:

Verwandtschaftsbeziehungen der germanischen Sprachen zum Indoeuropäischen.

Auf Grund ihrer grammatischen Strukturen und der Ähnlichkeit vieler Worte, kann man die Verwandtschaft vieler Sprachen schon als Laie erkennen. Diese Sprachen kann man dann in einer Sprachfamilie zusammenfassen.

Nachdem im 19. Jahrhundert eine zuverlässige Methodik entwickelt worden war, konnte der wissenschaftliche Nachweis erbracht werden, dass verschiedenste Sprachen auf dem europäischen und asiatischen Kontinent auf eine gemeinsame Ausgangssprache zurückgehen. Zusammen bilden sie die indogermanische Sprachfamilie. Die zahlreichen Einzelsprachen lassen sich - abgesehen von bruchstückhaft überlieferten Sprachen - in 11 große Sprachgruppen unterteilen:

Albanisch

Anatolisch† (u.a. Hethitisch, Luwisch, Lydisch, Lykisch, Palaisch)

Armenisch

baltische Sprachen (u.a. Altpreußisch†, Lettisch, Litauisch)

germanische Sprachen (u.a. Dänisch, Deutsch, Englisch, Friesisch, Gotisch†, Isländisch, Niederländisch, Norwegisch, Schwedisch)

Griechisch

indoiranische Sprachen (u.a. Avestisch†, Farsi, Hindi, Kurdisch, Marathi, Pashto, Sanskrit†, Urdu)

keltische Sprachen (u.a. Bretonisch, Gallisch†, Irisch, Keltiberisch†, Kornisch†, Kymrisch/Walisisch)

romanische (u.a. Französisch, Italienisch, Katalanisch, Portugiesisch, Rumänisch, Spanisch) bzw. italische Sprachen (u.a. Latein†, Sabellisch†)

slavische Sprachen (u.a. Bulgarisch, Polnisch, Russisch, Serbokroatisch, Slovakisch, Slovenisch, Tschechisch, Ukrainisch, Weißrussisch)

Tocharisch

Die Zugehörigkeit der germanischen Sprachen zur indoeuropäischen Sprachfamilie mögen folgende Beispiele gemeinindoeuropäischer Wörter im Germanischen mit regelmäßigen Lautkorrespondenzen veranschaulichen:

 

Lexikalische Gemeinsamkeiten indogermanischer Sprachen

à Beispiel „Mutter“

engl.           mother

anord.         môdir

lat.              mâter                                     idg. *mâtèr-

griech.         mêtêr                                      (Rekonstruktion)

russ.           mâteri (Gen.)

aind.           mâtàr-

vgl. dagegen: baskisch „hiru“, ungarisch „hàrom“, finnisch „kolme

 

Morphologische Gemeinsamkeiten indogermanischer Sprachen

         à 1. Person Singular „sein“

dt. ich         b-in

ahd.            b-im

engl. I am                                                  idg. *es-mi

got.   im                                                    (Rekonstruktion)

anord.         em

lat.              s-um

aind.           as-mi

 

Aus der Übereinstimmungen von Form und Bedeutung der Wörter ist ganz deutlich zu erkennen, dass diese Sprachen miteinander verwandt sind und dass sie auf eine gemeinsame „Ursprache“ zurückgeführt werden können.

Diese Urprache nennt man das Indoeuropäisch (Indogermanisch). Und das Urfolk. Das Indoeuropäisch gesprochen hat, nennt man die Indogermanen (Indoeuropäer). Wo dieses Volk ursprünglich gewohnt hat, ob in Asien oder in Steppen der Ukraine, oder gar im heutigen Deutschland, ist eine noch ungeklärte Frage. Etwa um 2500 v. Chr. Begann aus unbekannten Gründen die indogermanische Wanderung. Teile der Indogermanen haben verschiedene neue Territorien bewohnt und allmählich in verschiedene Gruppen abgezweigt.

Die indoeuropäische Sprache ist uns nicht bekannt: keine schriftliche Urkunde ist uns überliefert. Aber an vielen Beispielen aus den ide. Sprachen kann man noch heute gemeinsame Wortwurzeln feststellen. Wenn die Wörter in mehreren ide. Sprachen vorkommen, dann müssen sie auch schon in der ide. Ursprache vorhanden gewesen sein. Mit der vergleichenden Methode kann man viele ide. Wurzelwörter rekonstruieren.

z.B. *gel (ide.), geln (lat.), kalt (dt.), холод (ukr.)

Die rekonstruierten Formen werden immer mit dem Sternchen * gekennzeichnet. Das bedeutet, dass sie niemals schriftlich irgendwo festgehalten worden sind, dass sie also in keinem Text überliefert worden sind.

DIE VORGESCHICHTE DER DEUTSCHEN SPRACHE

URGERMANISCH.

Die Entwicklung des Germanischen Volkstums und auch damit der gemeinsamen Vorstufe der heutigen germ. Sprachen begann im 3. Jh. v.u.Z. Die germanischen Stämme leben in dieser Zeit zwischen Elbe und Oder, um die westliche Ostsee, im Südskandinavien und im Jütland.

Im 1. Jh v.u.Z. hat sich hier ein besonderer Sprachtyp herausgebildet, das so genannte Urgermanisch. Urgermanisch ist die älteste Stufe in der Entwicklung der deutschen Sprache.

Für die Rekonstruktion des Urgermanischen sind 2 Momente wichtig:

1.      Das Urgermanisch muß die wichtigsten Charakterzüge des Indoeuropäischen (Ide.) besitzen.

2.      Das Urgermanisch muß einige Neuerungen entwickelt haben.

Die Besonderheiten den Germanischen

Der Wortschatz

Was den Wortschatz anbetrifft, so sind etwa 2/3 der Gemeinheit germanischen Grundwörter aus dem Indoeuropäischen durch das Urgermanische überliefert worden. Dazu gehören Pronomen, Zahlwörter, Verwandschaftsbenennungen, einige Verben der Ruhelage, Benennungen von Körperteilen, von Vögeln und Tieren, von Naturerscheinungen.

z.B. lat. ego > got. ik > nhd. Ich

Zu den wichtigsten Neuerungen der germanischen Sprachen gehört die Entwicklung jenes 1/3 des germanischen Wortschatzes. Diese Wörter bezeichnen jene Begriffe, die das Leben der Urgermanen in ihren neuen Wohnsitzen widerspiegeln. Dazu gehören die Wörter aus Schifffahrt (See, Schiff, Strand, Mast), aus Viehhaltung und Jagd (Rind, Kalb, Bär, Reh, Rabe), aus Kriegführung (Bogen, Helm, Krieg, Schild, Schwert), aus Gemeinschaftsleben (Adel, Frieden, Volk).

Das morphologische System des Germanischen

Das Germanisch erbte vom Indoeuropäischen die wichtigsten Charakterzüge der morphologischen Struktur.

Das Substantiv besaß im Indoeuropäischen die grammatischen Kategorien des Genus, des Numerus und des Kasus. Die Struktur des Wortes bestand im Indoeuropäischen aus 3 Morphemen. Schematisch sah das so aus:

Wurzel

+

stammbildendes Suffix

+

Kasusendung

Je nach dem Stammbildenden Suffix unterscheidet man:

Vokalische Stämme:

         o-Stämme                lat. lupus

         a-Stämme                lat. equa, lit. asva

         u-Stämme                got. sunus

Konsonantische Stämme:

         n-Stämme                lat. nomen, ukr. ім’я

         r-Stämme                 lat. mater, ukr. мати – матері

Das Urgermanisch besaß dieselben grammatischen Kategorien und dieselbe Struktur des Wortes.

Zu den Neuerungen gehört im Urgermanischen die starke und die schwache Deklination auf n-Stämme. Das führte zur starken Polarisierung der „schwachen“ und „starken“ Deklination.

Das urgermanische Verb erbte vom Indoeuropäischen die grammatischen Kategorien der Person, des Numerus, des Tempus, des Genera verbi und des Modus.

Wesentliche Charakterzüge der Formenbildung des Verbs im Ide:

a)     die Stammbildung mit Hilfe der stammbildenden Sufixen;

b)     die Flexion;

c)      der Ablaut;

d)     die Reduplikation.

Neuerungen: die Herausbildung der der „schwachen“ und „starken“ Konjugation der Verben. Die starke Konjugation entstand auf der Grundlage der indoeuropäischen Verbalflexion durch den Ausbau des Ablauts zum regelmäßigen Bildungsmittel der Tempusstämme. Die schwache Konjugation ist eine absolute Neuerung des Germanischen.

Pronomen. Adjektiv Auch Adjektive und Pronomen haben im Urgermanischen ebenso wie im Indoeuropäischen eine reich entwickelte Flexion. Das urgermanische Pronomen stimmt mit dem indoeuropäischen Pronomen auch darin überein, dass in der Kasusbildung vieler Pronomen der Suppletivismus eine beträchtliche Rolle spielt.

Das Adjektiv, dessen Flexion im Indoeuropäischen mit der Flexion der vokalischen Substantivstämme übereinstimmte (vgl. lat. terra bona 'gute Erde'), entwickelte zwei für das Germanische eigentümliche Flexionstypen: die „starke" und die „schwache" Deklination. Die „starke" Deklination entstand auf der Grundlage der alten nominalen Adjektivdeklination, indem viele Kasusformen sich pronominale Endungen aneigneten (vgl. ahd. N. Sg. mask. ther 'der' und guoter 'guter'; N. Sg. neutr. thas 'das' und guothas 'gutes'). Die „schwache" Adjektivdeklination entstand durch die Ausdehnung der substantivischen n-Deklination auf die Adjektive.

Ungeachtet dieser Neuerungen im morphologischen System bewahrte das Urgermanische als eine flektierende Sprache die wesentlichen Züge der ide. Morphologie. Die Erhaltung von Kongruenz und Rektion als wichtigste syntaktische Mittel der Wortfügung setzten auch weitgehende Übereinstimmung zwischen dem Urgermanischen und dem Indoeuropäischen im Bereich des syntaktischen Baus voraus.

Das phonologische System

Das phonologische System des Urgermanischen ist ähnlich dem phonologischen System des Indoeuropäischen.

Zu den Neuerungen gehören:

1.     Die 1. (germanische) Lautverschiebung.

2.     Das Vernersche Gesetz.

3.     Der grammatische Wechsel.

1. Die erste oder germanische Lautverschiebung. Die erste oder germanische Lautverschiebung (das Grimmsche Gesetz) ist ein durchgreifender Wandel im Konsonantensystem, der sich im Urgermanischen vermutlich im Zeitraum von 2000—1000 v. u. Z. vollzogen hatte. Diese phonetische Erscheinung wurde 1882 von dem deutschen Wissenschaftler Jakob Grimm erforscht. Unter dem Terminus "Verschiebung" verstand J. Grimm die teilweise Veränderung der Artikulationsstelle der indoeuropäischen stimmlosen und stimmhaften Konsonanten (Explosivlaute). Man unterscheidet drei Akte in der I. germanischen Lautverschiebung:

1. Die ide stimmlosen Explosivlaute p, t, k wurden im Urgermanischen zu stimmlosen Frikativlauten f, p, h:

p

> 

f

t

> 

þ

k

> 

h

sanskr. = ai. pitar, griech. pater, lat. pater – got. fadar,ae. father, ahd. fater.

griech. treis, lat. tres, ukr.три – got. preis, as. thria, ae. three.

griech. kardia, lat. cor – got. hairto, as. herta, ahd. herza.

aber in anderen Fällen (s. Vernersche Gesetz)

p

> 

b

t

> 

d

k

> 

g

aber in den Verbindungen sp, st, sk findet die Verschiebung nicht statt

2. Die ide. stimmhaften Explosivlaute b, d, g wurden im Urgermanischen zu stimmlosen Verschlußlauten p, t, k:

b

> 

p

d

> 

t

g

> 

k

ukr. яблуко – engl. apple; ukr.слабий – nieddt. slap.

lat. duo, ukr. два – got. twai, e. two

lat. jugum, russ. иго - got. juk, aisl. ok "Joch "

3. Die ide. stimmhaften behauchten Explosivlaute bh, dh, gh wurden im Urgermanischen zu stimmlosen unbehauchten Frikativlauten (b, d, g.) oder zu stimmhaften unbehauchten Explosivlauten b, d, g

bh

> 

b

dh

> 

d

gh

> 

g

sanskrit=ai. bhratar, ukr. брат - got. bropar, as. brothar, e. brother, ahd. bruodar

ai. rudhiras, tschech. rudy ( rot) , ukr. рудий – got. raups, Gen. raudis, ahd. rot.

 

 

2. Das Vernersche Gesetz.

Die ide. stimmlosen Explosivlaute p, t, k wurden zu stimmlosen f, Þ, h, nur wenn der Wortakzent unmittelbar auf dem Vokal vor diesen Explosivlauten lag:

p, t, k > `___ f ___, `___ Þ ___ , `___ h ___

In allen anderen Fällen wurden sie stimmhaft:

p, t, k > ___ b `___ , ___ d `___ , __ g `___

p, t, k > `__ __ b __ , `__ __ d __ , `__ __ g __

Diese Gesetzmäßigkeit formulierte 1877 (1875) der dänische Gelehrte Karl Verner und sie wird das Vernersche Gesetz genannt.

russ. `свёкор — ahd.`swehur, aber

russ. cве`кровь — ahd. swi`gar

So kam Karl Verner zu der Schlußfolgerung, dass während der I. Lautverschiebung der Wortakzent im Urgermanischen noch frei wie im Indoeuropäischen war.

Rhotazismus  Derselbe akzentbedingte Wandel betraf das urgermanische S, das zum stimmhaften [Z] wurde, wenn nicht der unmittelbar vorausgehende Vokal den Akzent trug, also `___ s
aber  `__ __ z;  ___z `___

Später wurde z zu r. Diesen Wandel nennt man den Rhotazismus (vom griech. ro = r), und so wechseln s und r, z.B.

ahd. wesan - was - warum                         vgl.. Андрiй - Анджей

nhd (wesen) - war - waren

ide. s > germ. ʒ//z > wg. r

got. maiʒa > ahd. mera “mehr”

got. batiʒa > ahd. beʒʒer “besser”

 

3. Der grammatische Wechsel. Da der Akzent im Indoeuropäischen und im frühesten Urgermanisch = frei, beweglich war, lag er (der Wortakzent) bald auf dem Wurzelmorphem, bald auf dem Flexionsmorphem bzw. auf dem affixalen Morphem. Deshalb wirkte das Vernersche Gesetz nur auf einen Teil der Wortformen bzw. der Wörter einer Wortfamilie. Dadurch entstand der sog. grammatische (Konsonanten) —Wechsel, d.h. der Wechsel stimmloser und stimmhafter Frikativlaute f, Þ, h, s / b, d, g, z.

Dieser Wechsel blieb auch in den germanischen Einzelsprachen nach der Festlegung des Akzents auf der ersten (Wurzel)silbe erhalten. So hat z.B. das Deutsche den grammatischen Wechsel:

 f / b > :

die Hefe - heben

 ahd. hefe - heffen - huob - um - gehoben

 darben - bedürfen

 p > d > d / d > t :

 schneiden - schnitt - geschnitten

 der Schneider - der Schnitter

 h / g > g :

 ziehen - zog - gezogen

 s / z > r :

 war - gewesen; verlieren - der Verlust,

 frieren - der Frost.

 

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