Die Herausbildung der deutschen Nationalsprache
Das Nhd. umfaßt die Zeitperiode von 1650 bis zur Gegenwart. Das ist die Zeit der Herausbildung der nationalen Literatursprache. Seit dem 12. Jh. diente Deutsch als Sprache der deutschen Nationalität. Mit der Bildung der Nation (das 16./17. Jh.) wird es zu einer Nationalsprache.
Unter die Nationalsprache versteht man „die von allen Mietgliedern der Sprachgemeinschaft als verbindlich für die sprachliche Kommunikation anerkannte gemeinsame Hoch- und Schriftsprache“
Die deutsche Nationalsprache ist die höchste Form der Sprache als Mittel der Verständigung im Rahmen der gesamten Nation.
Es gibt drei Etappen der Entwicklungsgeschichte der Nationalsprache:
1) Die Anfangsstufe der Entwicklung der gemeindeutschen Literatursprache (von etwa 1650 bis um 1770).
Der Wettkampf zwischen den landschaftlichen Varianten der Literatursprache der fnhd. Zeit wird auf dieser Stufe abgeschlossen. Er endet mit dem Sieg einer Variante der Literatursprache — der ostmitteldeutschen Variante.
2) Die Vollendung der Herausbildung der gemeindeutschen Literatursprache und ihre Verankerung in der deutschen klassischen Literatur (von etwa 1770 bis 1830).
Es war nicht nur eine gemeindeutsche sprachliche Norm geschaffen, sondern auch die literarischen Ausdrucksmöglichkeiten und Stilformen waren dank dem Schaffen hervorragender deutscher Schriftsteller und Dichter ausgebildet.
3) Die Fortentwicklung der gemeindeutschen Literatursprache in der neueren und neuesten Zeit (von etwa 1830 bis zu unserer Zeit).
Die Entwicklung der deutschen nationalen Literatursprache, ihrer sprachlichen Norm, ihres Wortschatzes, ihrer Ausdrucksmöglichkeiten und Stilformen ist ein fortdauernder Prozeß. Die deutsche Gegenwartssprache ist das Ergebnis dieses Prozesses.
1. Etappe. Die deutsche Sprache von 1650 bis 1770: Barock und Aufklärung
- das Ende des Dreißigjährigen Krieges (1618 — 1648)
- der wirtschaftliche und politische Niedergang Deutschlands
- politische Zersplitterung
- Absolutismus (17./18. Jh.)
- Aufklärung
- Alamodezeit. Fremdwörtlerei
- die Ausbreitung der ostmitteldeutschen Variante der Literatursprache
Dichtung des 17. Jh.
Martin Opitz (1597 — 1639) “Teutsche Poemata”, “Das Buch von der deutschen Poeterey”(1624), wandte sich gegen die Überschätzung des Lateins und verfocht die Einigung der deutschen Literatursprache, begründete den sog. “Barockstil”.
Andreas Griphius (1616 — 1664) der Lyriker und großer deutscher Dramatiker;
Christian Gottsched (1700 — 1766) “Versuch einer christlichen Dichtkunst vor die Deutschen”, bemühte sich um die Reform der deutschen Dichtung;
Friedrich von Logau (1604 — 1655) der bekannteste deutsche Verfasser von Epigrammen (über 3000).
Johann Michael Moschenrosch “Wunderliche und wahrhaftige Gesichte Philanders von Sittenwald”, Christian Reuter “Schelmuffskys Reisebeschreibung”;
Hans Jakob Kristoffel von Grimmelshausen (1625 — 1676) “Der abenteuerliche Simplizissimus”(1699).
Sprachnormierung und Sprachpflege
Sprachgesellschaften
“Fruchtbringende Gesellschaft” (“Palmenorden”) in Weimar (1617): Grammatiker Justus Schottel, Christian Guernitz; Dichter M. Opitz, A. Gryphius, Friedrich von Logau, J. Moschenrosch, Ph. von Zesen.
“Aufrichtige Gesellschaft von der Tannen” in Straßburg (1633) die “Teutschgesinnte Genossenschaft” in Hamburg (1643) “Hirten- und Blumenorden” an der Pegnitz in Nürnberg (1644)
Dichter und Schriftsteller M. Opitz, A. Griphius, Ch. Gottsched, J. M. Moschenrosch, H. J. Kristoffel von Grimmelshausen, F. von Logau
Sprachreinigung. Purismus (lat. purus 'rein') (s.u. „Die Pflege der deutschen Sprache“).
“Ein neu Klaglied, Teutsche Michel genannt” (1638), “dat Französische Düdsch”, Fremdwörtlerei, Philipp von Zesen — Tageleuchter (Fenster), Zitterweh (Fiber), Gesichtserker (Nase)
'Ist denn Frankreich Deutschlands Herr?
Ist denn Deutschland sein Lakey?
Freyes Deutschland, schäme dich
dieser schnöden Knechterey'
(F. von Logau)
Sprachregelung:
- Grammatiker Justus Georg Schottel “Die Ausfuerliche Arbeit Von der Teutschen Haubtsprache” (1663) Johann Bödiker “Grundsätze der Deutschen Sprache” (1690)
- die Großschreibung der Substantive
- Wörterbücher Gaspar Stieler “Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs” (1691) Mattias Kramer “Große Teutsch - Italiänische Dictionarium, oder Wort- und Red-Arten-Schatz der unvergleichlichen Hochteutschen Grund- und Hauptsprache” in zwei Bänden (1700, 1702)
2. Etappe. Die deutsche Sprache von 1770 bis 1830: Klassik und Romantik
- der Aufschwung der Produktivkräfte in der Industrie
- die Steigerung des allgemeinen Bildungniveaus der Gesellschaft
- die Blütezeit der Aufklärung
- G. W. Leibnitz, Ch. Thomasius, I. Kant, C. F. Wolff, L. Euler, J. H. Lambert
- J. Ch. Gotsched, J.J. Bodmer, J.J. Breitinger, F. G. Klopstock, Ch. M. Wieland, G. E. Lessing
- Sturm- und Drangbewegung: J. G. Hartmann, J. G.Herder, G. A. Bürger, Ch. Schubart, J. Lenz
- Klassik und Romantik: J. W. Goethe, F. Schiller, F. Hörderlin, H. von Kleist, Novalis, J. von Eichendorf, C. Brentano
Die Sprachregelung und die Sprachtheorie
- Grammatik Johann Christoph Gottsched “Deutsche Sprachkunst, nach den Mustern der besten Schriftsteller des vorigen und itziger Jahrhunderts abgefasset” (1748) Johann Christoph Adelung “Umständliches Lehrgebäude der deutschen Sprache” (1782),
- Orthographie Hieronimus Freyer “Anweisung zur teutscher Orthographie” (1721)
- Wörterbücher Johann Leonhard Frisch “Teutsch - lateinischer Wörterbuch” (1741) Johann Christoph Adelung “Versuch eines vollständigen grammatisch — kritischen Wörterbuchs der hochdeutschen Mundart” in 5 Bdn. (1774 — 1786) Joachim Heinrich Campe “Wörterbuch der Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke” (1801 — 1804)
3. Etappe. Die deutsche Sprache von 1830 bis Gegenwart
- von 1830 bis 1920
- industrielle Revolution
- die nationale Einigung (1871)
- Urbanisierung
- die Bürgerliche Umgestaltung Deutschlands. Demokratisierung des Lebens.
- Bürgerkultur und Realismus
- von 1920 bis zur Gegenwart
- die Entwicklung der Rechtschreibnormen
- Sprachausgleich
- Amerikanismen und Anglizismen
Begründung der deutschen Sprachwissenschaft
Friedrich Schlegel “Über die Sprache und Weisheit der Inder” (1808)
Franz Bopp “Über das Konjugationssystem der Sanskritsprache”(1816)
Jacob Grimm “Deutsche Grammatik” (1819), das “Deutsche Wörterbuch” (mit W. Grimm, 1960 vollendet)
Karl Lachmann “Deutsche Texte der Mittelalters”, “Zeitschrift für deutsche Philologie”
Conrad Duden das “Orthographische Wörterbuch der deutschen Sprache” (1880)
Theodor Sieb “Deutsche Bühnenaussprache” (1898)
die Leipziger Junggrammatiker : Wilhelm Braune (Gotische Grammatik, Ahd. Grammatik, Ahd. Lesebuch); Hermann Paul (Deutsche Grammatik Bd. 1 — 5, Prinzipien der Sprachgeschichte, Deutsches Wörterbuch); Matthias Lexer (Mhd. Handwörterbuch); Friedrich Kluge (Etymologisches Wöerterbuch der deutschen Sprache)
Die Pflege der deutschen Sprache
Die Entwicklung des Nationalbewußtseins, der Drang nach sprachlicher und kultureller Einigung ruft das Streben nach der Pflege der Muttersprache hervor.
Viel hat zur Entwicklung der Gemeinsprache die Schule beigetragen. In der Elementarschulen wird Reden, Lesen und Schreiben in der Muttersprache gepflegt. In der 1. Hälfte des 18. Jh. wird Deutsch zur Unterrichtssprache in deutschen Schulen.
Fremdwörtlerei:
Im 17. Jh. wird die deutsche Wortschatz intensiv durch Wörter und Wendungen aus der französischen Sprache bereichert. In vielen Bereichen des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens wird nicht nur das romantische Wortgut aufgenommen, sondern auch die alte Lexik durch entlehnte Wörter ersetzt. Dagegen kämpften viele bekannte Dichter und Gelehrte sowie die sogenannten Sprachgesellschaften.
Die Mitglieder der Sprachgesellschaften übersetzten überflüssige Fremdwörter. Sie schufen dabei viele Termini z.B. Fall, Geschlecht, Aufschrift, Briefwechsel u.a.
Die Tätigkeit der Sprachgesellschaften war ein wichtiger Faktor der Entwicklung der deutschen Schriftsprache.
Besonders bemühten sich Dichter und Schriftsteller um die weitere Entwicklung der Sprache, um die Sprachregelung und Sprachpflege:
J.Ch.Gotsched, J.J. Bodmer, F.G.Klopstock, G.E.Lessing, auch die Vertreter der Sturm- und Drangbewegung.
Aber erst die Klassiker der deutschen Literatur J.W.Goethe und F. Schiller bestimmten das Sprachbild des Deutschen endgültig. Durch die Einigung der 18. Jh. wird die Herausbildung und Einigung der deutschen Nationalsprache zu erfolgreichen Ende gebracht.
In den 2. Hälfte des 19. Jh. rückten die Probleme der Rechtschreibung und Aussprache in den Vordergrund. In der Orthographie jener Zeit waren zahlreiche Schwankungen und Abweichungen. Es wurden verschiedene Lösungsmöglichkeiten vorgeschlagen, sowohl phonetische Schreibweise (der Aussprache getreue Schreibung), als auch historische Schreibweise.
1880 hat Konrad Duden die Ergebnisse dieser Diskussion im „Orthographischen Wörterbuch der deutschen Sprache“ zusammengefaßt. Seitdem wird dieses Werk in deutschsprachigen Ländern immer mehr anerkannt und gilt heute als Standartnachschlagewerk.
Einer der umstrittener Punkte der deutschen Rechtschreibung waren die Regeln der Groß- und Kleinschreibung. Jacob Grimm und andere Philologen (Voß, Lachmann, Willmans) forderten die Kleinschreibung der Substantive. Doch hat sich dieses Prinzip nicht durchgesetzt.