Die frühneuhochdeutsche Zeitperiode und ihre landschaftlichen Literatursprachen
Das ist die 3. Periode in der Entwicklung der deutschen Sprache. Die fnhd. Zeitperiode umfaßt die Zeitspanne von 1350 bis 1650. Sie wird aus folgenden Kanzlei Gründen abgegrenzt. Um 1350 bildet sich eine überlandschaftliche Schriftsprache in der Kanzlei Karls IV. (Prager Kanzleisprache). Um 1650 hat sich das Ostmitteldeutsch in den niederdeutschen Städten durchgesetzt.
Das Hauptcharakteristikum dieser Epoche ist die stufenweise Herausbildung der deutschen nationalen Literatursprache. Die fnhd. Zeitperiode ist die Anfangsstufe dieses Prozesses.
Um diese Zeit entwickelten sich in Deutschland neue ökonomische und soziale Verhältnisse. Sie kennzeichneten den Zerfall des Feudalsystems und die Entstehung neuer kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Mit der Entwicklung des Kapitalismus steht der Ausbau der Nation und der Literatursprache in enger Verbindung.
Die gemeindeutsche nationale Literatursprache entwickelte sich nicht unmittelbar aus den Territorialdialekten. Eine Vorstufe für sie bildeten die so genannten regionalen übermundartlichen Literatursprachen. Ihre Entwicklung fällt in das 14. Jh.
Die Vielfalt dieser regionalen Literatursprachen entsprach den sozialhistorischen Verhältnissen dieser Periode — dem wirtschaftlichen Niedergang und der zunehmenden territorialen Zersplitterung Deutschlands — seiner schwachen Zentralisierung.
Diese landschaftlichen Literatursprachen entstanden in verschiedenen Regionen des deutschen Reiches. Hier unterscheidet man folgende regionale Literatursprachen:
1. Mittelniederdeutsch
2. Mittelniederländisch
3. Ostmitteldeutsch
4. Das Gemeine Deutsch
Mittelniederdeutsch
Sie entstand im 14. Jh. im Norden des Reiches aus der Geschäftssprache der Hansestädte. Das war die Verkehrssprache des Nordens aber im 16. Jh. wurde diese Variante der Literatursprache vom Hochdeutschen verdrängt.
Mittelniederländisch
Diese Variante der Literatursprache entwickelte sich in den Niederlanden im Nordwesten des Reiches. Aber mit dem Austritt der Niederlanden aus dem deutschen Reich begann sich diese Variante der Literatursprache als eine selbständige Sprache zu entwickeln.
Ostmitteldeutsch
Entwickelt sich im meißnisch-obersächsischen Gebiet (Meißen, Thüringen, Schlesien, Lausitz, Böhmen, Mähren). Dank dem großen Ansehen Obersachsens gewann die ostmitteldeutsche Variante der Literatursprache nicht nur in Mitteldeutschland, sondern auch in Norddeutschland, sowie in Schwaben und Franken an Boden.
In den nachfolgenden Jahrhunderten wurde die ostmitteldeutsche Literatursprache zur Grundlage der werdenden gemeindeutschen nationalen Literatursprache.
Das Gemeine Deutsch
Entwickelte sich in Südosten im bairisch-österreichischen Gebiet. Diese Variante konkurrierte sehr lange mit dem Ostmitteldeutsch (bis zum 18. Jh.)
Das geschah, weil diese Variante der Literatursprache von den namhaften Schriftstellern gebraucht wurde (Hans Sachs, Thomas Münzer, Sebastian Frank).
Zweitens, im Süden befanden sich die führenden Drukerstädte (Nürnberg, Augsburg).
2. Besondere Rolle in der weiteren Entwicklung der deutschen Literatursprache hatten die Schriften des Begründers des deutschen Protestantismus Martin Luther gespielt. Der Mittelpunkt seiner Reformation waren Sachsen und Thüringen. Luthers große Verdienst besteht darin, daß er die Bibel in die deutsche Sprache übersetzt hat. Dabei benutzte er nicht den lateinischen Text, sondern der Urtext (griechischen). Er übersetzte nicht Wort für Wort, sondern übertrug sie frei in die Sprache seines Volkes. Diese Bibel war sehr berühmt und man verwendete sie in der Schule.
Bei der Bibelübersetzung folgte Martin Luther der ostmitteldeutschen Variante der Literatursprache. Seine Sprache ist sehr reich an volkstümlichen und sprichwörtlichen Redewendungen.
z.B. Martin Luther verdanken wir folgende Redewendungen:
die Haare standen ihm zu Berge
j-n an der Nase herumführen
jmdm das Herz ausschütten
nach jmdm Pfeife tanzen
Die wichtigsten Neuerungen in der Sprache Luthers betreffen die Aussprache, die Orthographie (Großschreibung der 80 % der Substantive), die Morphologie, die Syntax, die Wortwahl und Wortschöpfung.
Im 18. Jh. verdrängte die ostmitteldeutsche Variante der Literatursprache die anderen landschaftlichen Literatursprachen und arbeitete viel zur gemeindeutschen nationalen Literatursprachen empor. (Das geschah in der mhd. Zeitperiode).
Voraussetzungen dafür waren:
1. Die vorherschende Rolle Sachsens als eines der größten und einflußreichsten Fürstentümer Deutschlands.
2. Das Ansehen Sachsens als Mittelpunkt der Lutherischen Reformation.
3. Die sprachliche Leistung und Begabung Luthers auf dem Gebiet der modernen deutschen Prosa.
4. Der Charakter der ostmd. Variante der Literatursprache mit ihren Beziehungen zu den nördlichen, westlichen und südlichen deutschen Gebieten.
Die Verbreitung der ostmd. Variante ging ungleichmäßig vor sich und war erst im Jahre 1750 abgeschlossen, d.h. in der nhd. Zeitperiode. Gegen das Ende der fnhd. Zeitperiode war die sprachliche Einigung in Deutschland bei weiterem nicht abgeschlossen.
Es standen 3 Varianten der deutschen Literatursprache miteinander im Wettbewerb — die ostmitteldeutsche, die oberdeutsche und die schweizerische.
Die frühneuhochdeutsche Literatur
Die bekanntesten Namen und die wichtigsten Werke dieser Periode der deutschen Sprachentwicklung sind Sebastian Brandt („Das Narrenschiff“), Thomas Murner („Doctor murners narrenbeschwörung“), Till Eulenspiegel (ein Volksbuch), das niederdeutsche Epos „Reynke de vos“, Hans Sachs (als Meistersinger bekannt).
Die Interesse zur Muttersprache wird in fnhd. Periode immer stärker. Die Humanisten übersetzen mehrere Werke der Weltliteratur ins Deutsche, um neue Ideen ihren Zeitgenossen zugänglich zu machen. Einen starken Einfluß übten auf die Zeitgenossen die Ideen von Ph.Melanchton, J.Reuchlin, Erasmus von Rotterdam („Lob der Torheit“). Es entstanden zahlreiche Wörterbücher, meistens lateinisch-deutsche. Die Humanisten sammelten und gaben auch deutsche Sprichwörter heraus. Viele lateinische Sprichwörter und geflügelte Worte werden auch im Deutschen geläufig.
Ganz besondere Verdienste in der Entwicklung der deutschen Sprache der Neuzeit hatte aber die reformatorische Tätigkeit von Martin Luther.
Viele Ideologen, Wissenschaftler, Künstler verfassen ihre Werke in deutscher Sprache (Thomas Münzer, Paracelsus, Albrecht Dürer, Ortholph Fuchssperger, Heverlingh). Von ganz besonderem Interesse sind dabei Werke, die der Pflege der Muttersprache gewidmet sind. Im 17. Jh. begann eine aktive Arbeit im Bereich der Rechtschreibung, Lexik und Grammatik (Valentin Ickelsamer, Laurentius Albertus, Albert Ölinger, Johannes Clajus).
Bereits im 14./15. Jh. entwickelt sich intensiv die Kanzlei- und Geschäftssprache. Seit dem 14. Jh. erscheinen Urkunden der kaiserlichen Kanzlei in deutscher Sprache. In den Hansestädten (Lübeck, Stralsund, Rostok, Wismar, Hamburg) entwickelt sich die Geschäftssprache. Von großer Bedeutung für das Zusammenwachsen der verschiedenen regionalen Varianten der deutschen Sprache war die Erfindung des Buchdrucks im 15. Jh. (Johannes Guttenberg). Die Drucker arbeiteten in Mainz, Stralsund, Bamberg, Köln, Augsburg, Basel, Nürnberg, Ulm, Lübeck und Leipzig.
Die frühneuhochdeutsche Wortschatz
Das Wortgut des Frühneuhochdeutschen weist folgende Wandlungen auf:
Ein Teil des Wortschatzes veraltet, kommt aus dem Gebrauch und wird durch andere Wörter verdrängt: michel (>groß), lützel (>klein), jehen (>sagen), dagen (>schweigen), minne (>Liebe) u.a.
Viele Wörter weisen eine weitere Bedeutungsentwicklung auf: arebeit (früher “Mühsal”, “Not”), geheim (früher “zum Hause gehörig”), list (früher “durch gute höfliche Lebensart ausgezeichnet”) u.a.
Der Wortschatz der werdenden gemeindeutschen Literatursprache wird durch landschaftliche Sprachvarianten bereichert (wehmut, düster, schlau, stottern stammen aus dem Niederdeutschen; gleich, ertrinken, närrisch, verwunden sind oberdeutscher Herkunft).
Im späteren Mittelalter bilden sich rasch die Sondersprachen verschiedener Berufsgruppen der Bevölkerung.
Handel. Im 14.-15. Jh. wird das Lateinische aus dem kaufmännischen Sprachgebrauch immer stärker zurückgedrängt. Es entsteht der kaufmännische Sonderwortschatz auf deutscher Grundlage (Mackler, Stapel, Fracht, Gesellschaft, Kaufhaus, Schuld, Wechsel). Der deutsche Wortschatz bereichert sich auch durch die Entlehnungen aus dem Italienischen (Lombard, Bark, Konto, Kredit, Kapital, Kasse, Kontor) und verschiedenen orientalischen Sprachen (Zitrone, Zucker, Muskat, Konfekt).
Seefahrt. Hier finden wir sowohl gemeingermanische (Mast, Ruder, Schiff, Segel) als auch entlehnte (italienischer, spanischer und arabischer Herkunft) Lexik: Barke, Flotte, Golf, Kai, Kajüte, Kapitän, Kompaß, Marine. Später wurden auch zahlreiche niederdeutsche und niederländische Fachausdrücke übernommen (Boot, Jacht, Matrose, Maal). Dazu kamen auch Entlehnungen aus dem Englischen (Log, Lotze).
Buchdruckerei. Seit dem 15. Jh. bereichert sich der Sonderwortschatz durch deutsche (Buchdrucker, Buchbinder, Verlag, Fliegenkopf, Zwiebelfisch u.a.) sowie lateinische Fachausdrücke (Abbreviatur, Autor, Exemplar, Format, Korrektor, Manuskript).
Kirche. Wirtschaft. Wissenschaft. Die lateinischen Termini drangen in diese Bereiche des geistlichen Lebens besonders unter dem Einfluß der Renaissance und des Humanismus. Durch die Humanisten erscheinen im Deutschen lateinische und griechische Entlehnungen in der Kirchen- und Rechtssprache, im Wortschatz des Bildungswesens, der Wissenschaft (Alphabet, Extrakt, addieren, Medizin, Logek, Patient, Pilosophie, plus, Text, zitieren) der Kunst, des gesellschaftlichen Lebens (appelieren, Akademie, Examen, Fakultät, Demokratie, Ferien, Melodie, Minister, Nummer).
Ins Deutsche drangen auch zahlreiche lateinische Entlehnungen mit den Suffixen –ant, -ent, -ion, -at )Musikant, Medikament, Präsident, Operation, Advokat).
Viele deutsche Ausdrücke wurden auf dem Gebiete des geistigen Lebens auch von den Mystikern geschaffen (das All, Abgrund, begreifen, Bewegung, Eindrück, Einfluß, eigentlich, einsehen, Gegenwärtigkeit, grundlos).
DAS PHONOLOGISCHE SYSTEM DES FRÜHNEUHOCHDEUTSCHEN
Vokalismus
1. Diphthongierung der langen Vokale
Im 12. Jh. beginnt der Wandel (Südosten, Kärnten) der langen Vokale i, u, iu [y:] zu Diphthongen:
î > ei mhd. mîn > fnhd. mein
drî > drei
îs > eis
û > au mhd. ûf > fnhd. auf
hûs > haus
tûbe > taube
iu [y:] > eu mhd. hiute > fnhd. heute
liute > leute
diutisc > deutsch
Diese Diphthongierung wurde im Laufe des 14./16. Jh. zum Kennzeichen des gesamten hochdeutschen Sprachraums mit Ausnahme des äußerten Südwestens (Schweiz, Elsaß). Da diese Diphthongierung auch zum Kennzeichen der werdenden gemeindeutschen Literatursprache wird, nennt man sie “die neuhochdeutsche Diphthongierung”.
2. Gleichzeitig mit der Entwicklung neuer Diphthonge vollzog sich die Erweiterung alter Diphthonge ei > ei [ae], ou > au (Bairisch-Österreichisch), die infolgedessen mit den neuen Diphthongen zusammenfallen.
ei > ei [ae] mhd. ein > fnhd. ein
teil > teil
und mîn > mein
ou > au [ao] mhd. ouge > fnhd. auge
boum > baum
ouch > auch
und ûf > auf
3. Monophthongierung der alten Diphthonge. Hier ist vor allem die Beseitigung der Diphthongen ie, uo, üe zu bezeichnen.
ie > ie [ɪ:] mhd. hier > fnhd. hier [ɪ:]
fliegen > fliegen
uo > u mhd. guot > fnhd. gut
buoch > buch
üe > ü mhd. güete > fnhd. güte
süeʒe > süß
Diese Monophthongierung wurde auch zum Kennzeichen der werdenden deutscher Sprache. Darum zeichnet man sie „die neuhochdeutsche Monophthongierung“.
Also mit der Durchführung der oben beschriebenen Lautwandlungen wird die Herausbildung des vokalischen phonologischen Systems der deutschen Literatursprache der Gegenwart vollendet.
4. Die positionsbedingte Dehnung und Kürzung der Vokale.
Im ausgehenden 15. Jh./16. Jh. bilden sich die neuen Dauerverhältnisse im Vokalsystem heraus. In den altgermanischen Sprachen hing die Quantität des Lautes von dessen Stellung im Worte nicht ab. In der fnhd. Zeitperiode kommt der Zusammenhang zwischen der Vokaldauer und dem Charakter der Silbe immer mehr zur Geltung.
Die Fälle, in denen der Vokal gedehnt wurde:
1) Der Vokal wurde in offener Silbe gedehnt:
ahd. nêman, mhd. nêmen > nhd. nehmen
fâren fâren > fahren
nâmo nâme > Name
2) Der Vokal wurde gedehnt, wenn die Silbe geöffnet werden kann.
ahd. tâg, mhd. tâc > nhd. Tag – Tages – Tage
wêg wêc > Weg – Weges – Wege
nâm nâm > nahm – nahmen
3) Der Vokal wurde auch vor r+Dentallaut (d, t, s, z) gedehnt.
ahd. fârt, mhd. fârt, vârt > nhd. Fahrt
êrda êrde > Erde
wêrdan werden > werden
(vor r+Dentallaut bleibt der Vokal kurz in: warten, hart, Garten, Karte u.a)
4) Der Vokal wurde in einsilbigen Wörtern, die auf einen Sonanten ausgehen, gedehnt:
ahd. er, mhd. er > nhd. er
ther, der > nhd. der
(auch wer, her, mir, dir, ihr, vor, für, wem, dem, ihm, wen, den, ihn u.a.)
Die Kürzung langer Vokale in geschlossener Silbe.
Vor den Konsonantenverbindungen werden althochdeutsche lange Vokale gekürzt:
z.B. ahd. brâhta, mhd. brâhte > mhd. brachte
lâʒʒan lâʒʒan > lassen
Zusammen mit Quantität der Vokale ändert sich auch ihre Qualität. Kurze Vokale werden offen, lange Vokale geschlossen gesprochen.
5. Umlaut breitete sich vor dem Pluralsuffix –er aus (dörfer, länder, wälder), sonst gibt es im Fnhd. viele Schwankungen in der Qualität der Wurzelvokale a, o, u (gartner, kramer, rauber und erst später — gärtner, krämer, räuber).
6. Vokalismus der Nebensilben. In den unbetonten Silben erscheint meistens das neutrale –e, in einigen oberdeutschen Mundarten dagegen auch volle Vokale. Das –e herrscht sowohl in den Suffixen, als auch in den Präfixen vor; nur fnhd. vor-, vur-, ver-, ur-, miß-, un-, en- erhalten Vokale anderer Qualität.
Konsonantismus
Weitere Entwicklung der zweiten Lautverschiebung.
Bis zum 15. Jh. dauert das Vordringen der 2. Lautverschiebung in den mitteldeutschen Sprachraum fort. Von besonderer Bedeutung für den Konsonanten stand der werdenden Literatursprache ist, daß sich die zweite Lautverschiebung auch im Ostmitteldeutschen verbreitete.
Der Zusammenfall der Phoneme s und ʒ.
Es gab im Ahd. zwei s-Laute. Das eine entsprach dem germanischen s und das andere entstand nach dem 2. Lautverschiebung (ʒ entsprach dem germanischen z). Man bezeichnete diese Konsonanten auf verschiedene Weise. Im Fnhd. fallen die beiden s-Laute zusammen.
Entwicklung von mhd. h.
Germanisches h ist im Mhd. zwischen Vokalen nur noch Hauchlaut. Im Fnhd. tritt in dieser Stellung meist im Silbenanlaut völliger Schwund ein. Die Schreibung jedoch bewahrt das h.
z.B. mhd. sehen > fnhd. sehen
nahe > nahe
Im Auslaut, wo sich der spirantische Lautwert erhalten hat, tritt auf Grund des Systemzwanges schwund auf ein.
z.B. mhd. schouch > fnhd. schuh
sach > sah
Die wichtige Neuerung im Konsonantengebrauch war wohl der Ersatz des anlautenden Reibelauts s vor einem Konsonanten durch [ʃ], wodurch der Gebrauch des letzteren stark zunehmenden Beispiele:
mhd. slafen > nhd. schlafen
snel > schnel
smiden > schmieden
Viel seltener wird dieser Ersatz nach r beobachtet,
z.B. mhd. hersen > nhd. herrschen
burse > bursche Vgl. Ferse, Hirse
Der Konsonant w schwindet im Inlaut nach u; nach r, l wird es durch b ersetzt:
z.B. mhd. frouwe > nhd. Frau
buwen > bauen
triuwe > Treu
swalwe > schwalbe
varwe > > Farbe
In der Konsonantenverbindung mb (mp) wird infolge der Assimilation der zweite Konsonant eingebüßt.
z.B. mhd. zimber > nhd. Zimmer
lamp > Lamm
DAS MORPHOLOGISCHE SYSTEM DES FRÜHNEUHOCHDEUTSCHEN
DAS SUBSTANTIV
Die Deklination der Substantive tritt um diese Zeit als ein fast völlig entwickeltes System entgegnend. Man unterscheidet 3 Deklinationstypen:
Starke Deklination
Gleicht dem heutigen System. Ihr Kennzeichen ist –es im Genitiv. Dazu gehören die Substantive von Maskulina und Neutra. Die starke Deklination wird zu einem der Haupttypen der Deklination der Substantive.
Die schwache Maskulina können die Endung –n im Nom.Sg. annehmen und danach auch stark dekliniert werden.
z.B. mhd. balke > fnhd. balken
garte > garten
(Auf diese Weise entstehen die Dublette Glaube und Glauben; Wille und Willen).
Schwache Deklination
Die Substantive dieser Deklination verloren ihre eigentliche Kasusendungen noch im Ahd. Aber sie bewahren ihre stammbildendes Suffix –n. Es hatte zusammen mit dem begleitenden Vokal die Funktion der Kasusflexion übernommen.
Zu dieser Deklination gehören Substantive des männlichen Geschlechts, die Lebewesen bezeichneten.
z-B. ahd. knabo, mhd. knabe > Knabe
falcho valke > Falke
boto bote > Bote
(Die Feminina, die im Mhd. noch zur n-Deklination gehörten, gehen in die feminine Deklination über.
Die Neutra ouge, or gehen aus der schwachen Deklination über, das herz weist die Merkmale sowohl der schwachen als auch der starken Flexion auf.
Feminine Deklination.
Das ist der 2. Deklinationstyp der Substantive in der deutschen Gegenwartssprache. Ihr Kennzeichen ist die Nullflexion in allen Kasus im Singular.
Aber im Fnhd. gab es noch ein paar Substantive, die nicht immer diese Nullflexion hatten.
z.B. N. zunge aber wange
G. zungen wange
D. zungen wange
Ak. zunge wange
Diese Parallelformen existierten bis zum 18. Jh.
Pluralbildung der Substantive
Im Ahd. und Mhd. bezeichnete eine Flexion des Substantivs sowohl den Kasus als auch den Numerus.
z.B. ahd. Sg. PL:
N. tag tag-â
G. tag-es tag-o
D. tag-e tag-um
Ak. tag tag-â
I. tag-u
DAS ADJEKTIV
Die Deklination der Adjektive ist im Nhd. weitgehend unifiziert; das Frnhd. stellt hier, wie in anderen Fallen, eine Übergangsperiode dar. Der Umbau des Deklinationssystems besteht in Folgendem:
1) es verschwindet der Unterschied zwischen den alten wa-Stämmen und den rein vokalischen Stämmen .
2) in der starken Deklination erhält das Femininum im Nom. Sg. die Endung -e statt -iu, z. B. mhd. guotiu > nhd. gute', im Plural Nom. und Akk. werden die Geschlechtsformen unifiziert infolge der Anlehnung des Neutr. (alte Endung -iu) an das Mask. und Fern. (alte Endung -e), vgl. Nom. Akk. Pl. aller Geschlechter: gute. 3) in der schwachen Deklination ist der Akk. Sg. der Feminina nach dem Nominativ ausgeglichen; somit fällt das ganze Paradigma der Feminina mit dem der Neutra zusammen, z. B. Nom. Akk. Fern. u. Neutr. Sg. Gute, Gen. Dat. guten.
Der Gebrauch der unflektierten Form wird allmählich auf das Prädikativ beschränkt.
Die Deklination der Pronomen erleidet im Nhd. keinen durchgängigen Umbau, und bleibt grundsätzlich dieselbe wie in älteren Zeiten. Von den Neuerungen ist vor allem folgendes zu verzeichnen:
l) eine Reihe von Endungen werden erweitert, was durch das Streben nach Verdeutlichung erklärt werden kann: so lautet der Gen. Sg. des Demonstrativ- und Relativpronomens dessen statt des, derer und deren statt der', im Gen. und Dat. Pl. findet sich deren und denen statt der, den. Im Frnhd. treten diese Formen inkonsequent auf.
2) bei dem Demonstrativpronomen dieser gehen die Formen mit -rr~ (dirre) schon zu Beginn des XVI. Jhs. unter und werden durch „regelmäßige" Formen mit -s-ersetzt (dieser).
Das Verb
Das Konjugationssystem des Verbs ist in der frühneuhochdeutschen Zeit in weitgehendem Umbau begriffen. Alte, aus dem Mhd. ererbte Formen vermengen sich mit neuentstehenden und existieren nebeneinander, bis sich allmählich in fortwährendem Ausgleich der heutige Zustand herausbildet.
Für das Endungssystem bestand die Haupttendenz der Entwicklung in der Vereinheitlichung einzelner Endungen, wobei die seltener vorkommenden den herrschenden angeglichen wurden. Hier kommt folgendes in Betracht:
l) die Endung der 3. P. Pl. Präs. Ind. mhd. –ent > nhd. -en (wie üblich in den anderen Zeit- und Modusformen), z. B. sie werfent > sie werfen, sie sagent > sie sagen;
2) die Endung der 2. P. Sg. Prät. Ind. der starken Verben -e>-(e)st, z. B. du hiey>du hießest',
3) die Endung der 2. P. Sg. Präs. Ind. der prät.-präs. Verben –t > '(e)st, z. B. du darft > du darf(e)st.
Diese neuen Endungen wurden in das nhd. grammatische System aufgenommen. Daneben finden im Frnhd. andere Angleichungsvorgänge statt, die zu dieser Zeit vielfaches Schwanken schufen, aber für die spätere Flexion keine Folge hatten. Hierher gehören:
l) -mindere l. und 3. P. Sg. Prät. Ind. der starken Verben, z. B. ich (er) sähe, läse, flöge u. ä. Diese Endung ist auf das starke Präterit vermutlich aus dem Präsens oder aus dem schwachen Präterit übertragen, worden. Sie lebt heute nur in wurde (älteres ward) fort.
2) die Endung -nt wird manchmal infolge der Mundartmischung aus der 3. P. Pl. auf die anderen Personen übertragen, z. B. wir, ihr, sie gebent, umgekehrt findet sich die Endung der l. 3. P. Pl. auch in der 2. P. Pl.
Das bunte Blick des Flexionssystems stellt folgende Tabelle dar.
Präs. Indik. st. u. Prät. Prät.
schw. V. Indik. st. V. Ind. schw. V.
l. P. -e -Null, -e -Null Sg.
2. P. -(e)sl -(e)st, -e -(e)st
3. P. -(e)t -Null, -e -Null
l. P. -en, -ent -en -n Pl.
2. P. - -enf,-en -(e) -(e)t
3. P. -en, -ent -en -en
Anmerkungen.
1. Die Endungen des Konjunktivs sind den heutigen gleich.
2. Die Präterito-Präsentia haben im Präsens die Endungen des starken Präterits, im Präterit—die des schwachen Präterits.
Die Wandlungen im System der Ablautsreihe der starken Verben
Ein wichtiges Merkmal des Frnhd. ist die Vereinheitlichung des Stammvokals im Singular und Plural des starken Präterits. Das geschah infolge der Wandlungen im phonologischen System.
ahd. stigan – steig – stigum – gistigan
zehan – zeh – zigum – gizigan
1. Im Präsensstamm beobachten wir die nhd. Diphthongierung:
I > ei [ae]
stigan – steig – stigum – gistigan
2. Im Präteritum beobachten wir die den Ausgleich nach dem Plural wobei der Ausgleich in verschiedener Richtung vor sich ging (vom Sg. zum Pl. und umgekehrt).
z.B. 1. Ablr. mhd. steig – stigen > nhd. stieg – stiegen
2. Ablr. verzech – verzichten; > verzieh – verzichten
3. Ablr. bouc — bugen > bog –bogen
4. Ablr. bot –buten > bot-boten
5 Ablr. half — hülfen . half — halfen
6 Ablr. sanc — sungen sang — sangen
7 Ablr. nam — nämen nahm — nahmen
8 Ablr. gap—gäben gab [ga:p!]—gaben
3. Wichtig für die Ausbildung. des neuen Systems sind auch Ausgleichstendenzen zwischen den einzelnen verbalen Klassen. Die Untergruppen 1. und 2. Fallen zusammen.
z.B. steigen – stieg – gestiegen
treiben – trieb – getrieben
4. Obwohl die Untergruppen zusammenfallen unterscheidet man heute zwei neue Untergruppe, nach der Länge der Vokale.
z.B. schreiben – schrieb – geschrieben
schneiden – schnitt – geschnitten
5. So haben wir:
In den übrigen Klassen war der Vokal des Sg. u. des Pl. von alters her gleich. Da, wie
gän, stän, län
Im Frühneuhochdeutschen sind die kontrahierten Formen von Verben wie gän, stän, län usw. allmählich außer Gebrauch gekommen. Kennzeichnend für das Frnhd. sind Doppel formen: habe neben hän, gie neben gieng u. s. w.
Das Verb sein bekam bei der Konjugation mehrere neue Nebenformen; so kann die I. P. Sg. 'bin oder seyn lauten, die l. 3. P. Pl. heißt sein, seint, sin, sint. Im Imperativ haben wir neben sey auch biß und wis, das Part. I lautet seynd oder wesende.